Ernst-Günther Tietze:
"
Liebe gibt es nicht zum Nulltarif", Leseproben

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                                        Aus Kapitel 1 „Schock“                           Literaturverzeichnis

Die Wohnung war leer, vollkommen leer!

Schon in der Diele wunderte Jannik Wieland sich, dass der Garderobenschrank fehlte. Doch richtig traf ihn der Schock im Wohnzimmer, weder Möbel noch Teppiche, an den Wänden keine Bilder und vor den Fenstern keine Gardinen. Selbst die Grünpflanzen, der Fernseher und die Stereoanlage fehlten! Nach drei Wochen in Santiago de Chile hatte er sich auf den Abend mit der kleinen Melanie gefreut. Auf Sonja hatte er sich weniger gefreut, mit der hatte es nur noch Streit gegeben, weil er so viel unterwegs war. Im Kasten fand er den Brief eines Anwalts, seine Frau habe sich wegen seiner ständigen Abwesenheit von ihm getrennt und mit der Tochter Melanie eine eigene Wohnung bezogen. Als Unterhalt fordere sie monatlich 2.000,- € und für das das Kind 700,- €. Diesen Schock musste er erst mal verarbeiten.

Am nächsten Morgen musste Jannik in der Firma über seinen Einsatz in Chile berichten. Das Architekturbüro Archidesign Germany GmbH entwarf weltweit Großbauten wie Sportstätten, Shopping Malls und Tagungskomplexe bis zur Fertigungsreife. Janniks Aufgabe war es, vom ersten Spatenstich an den Baufortschritt zu beobachten und die Einhaltung der architektonischen Vorgaben zu überwachen. In Santiago hatte er gerade drei Wochen lang den Baubeginn eines riesigen Gebäudekomplexes beobachtet, der aus einem Sportstadion, einem Einkaufszentrum und einem komfortablen Tagungshotel bestand. Als er seinem Vorgesetzten und Freund Klaus Bollmann von seinem Missgeschick berichtete, sagte der, er müsse sich unbedingt einen Anwalt nehmen.

Jannik hatte sein hartes Verhandlungsgeschick bis zur Grenze ausreizen müssen, damit der Bauträger eine bindende schriftliche Zusage abgab, sich künftig an die Vorgaben der Archidesign zu halten. „Sie haben hervorragende Arbeit geleistet“, lobte ihn Frau Dr. Jansen. „Ich glaube, angesichts dieser Leistung sollten wir Herrn Wieland ein paar Tage Sonderurlaub geben, damit er sich hier wieder akklimatisieren kann“, schlug Klaus Bollmann vor und die Chefin fragte, ob eine Woche genüge. „Für den Urlaub bin ich dir dankbar, da kann ich mich wenigstens ein bisschen um meine Probleme kümmern“, sagte Jannik nach der Sitzung zu seinem Freund. „Deshalb habe ich das ja angeregt, und jetzt solltest du gleich die Anwältin anrufen.“ Schweren Herzens wählte Jannik die Nummer, die Klaus ihm nannte.

„Der Anwalt Ihrer Frau hat geschrieben, dass sie sich wegen Ihrer ständigen Abwesenheit und häufiger Differenzen von Ihnen getrennt hat, was ist daran richtig?“, wollte die Anwältin wissen. „Ich war für die Bauüberwachung bei Großprojekten im Ausland verantwortlich und musste oft und lange unterwegs sein. Allmählich klagte meine Frau, ich ließe sie so viel allein und es gab immer öfter Streit deswegen. Doch nie habe ich mit einer derartigen Entwicklung gerechnet.“ „Aus Ihren Worten vermute ich, dass Sie Ihre Frau ziemlich vernachlässigt haben, aber das kann ich nicht bewerten“, antwortete Frau Dr. Töpfer. „Ich werde den Anwalt auffordern, Ihnen den Wohnort Ihrer Tochter mitzuteilen, denn der Kontakt zu Ihrem Kind ist ein Grundrecht für Sie. Außerdem muss Ihre Frau mindestens die Hälfte der Einrichtung zurückgeben und die Geldforderungen lehnen wir vollständig ab.“

Weil Jannik keine Lust hatte, in die leere Wohnung zu gehen, fuhr er nach Geesthacht, wo seine Mutter als Operationsschwester arbeitete. Nach dem Abendbrot berichtete er ihr über sein Missgeschick und das Treffen mit der Anwältin. „Ist denn was dran an Sonjas Vorwürfen?“, wollte sie wissen. „Ja, in gewisser Hinsicht schon“, meinte Jannik mit gequälter Miene. „Seit fünf Jahren muss ich ständig ins Ausland, um Probleme zu klären und bekomme das auch meist fertig, doch allmählich klagte Sonja, ich ließe sie immer länger allein. Wir sprachen darüber, ohne eine Lösung zu finden, und leider arteten diese Gespräche immer mehr in Streit aus, bis ich schließlich zusah, dass ich schon nach zwei Tagen wieder fahren konnte, um Ruhe zu haben. Zuletzt haben wir kaum noch miteinander gesprochen.“

„Ich muss schon sagen, dass du deine Frau ziemlich vernachlässig hast und ich habe Verständnis für sie“, sagte Maria leise. „Hast du denn wenigstens manchmal etwas mit ihr unternommen, zum Beispiel einen Theaterbesuch, wenn du in Hamburg warst?“ „Nein, eigentlich nicht, du weißt ja, dass ich an kulturellen Dingen kein so großes Interesse habe.“ „Und auf die Idee, einfach aus Liebe zu ihr mitzugehen und vielleicht dabei etwas zu lernen, bist du nie gekommen?“ Jannik wäre am liebsten im Boden versunken, aus den Worten der Mutter wurde ihm mit einem Schlage klar, wie sehr er Sonja vernachlässigt und oft enttäuscht hatte.

Am nächsten Tag bekam Jannik heraus, dass Sonja in einem Neubau ihres Jugendfreundes Eduard Puttfarken in Altengamme eine Wohnung bezogen hatte und er überlegte, ob er an der Wohnung klingeln sollte, doch dann fühlte er sich einer Begegnung mit ihr noch nicht gewachsen, möglicherweise war Eduard bei ihr. Er stieg auf den Deich vor dem Haus und blickte über die Elbe. So breit, wie der Fluss hier vor ihm strömte, so weit entfernt kamen ihm jetzt Sonja und seine Tochter vor, und er hatte diese Gemeinschaft zerstört! Da konnte er sich doch gleich hier in die Elbe werfen. Doch dann stand die kleine Melanie vor seinen Augen, wie sie um ihn weinte. Das durfte er ihr nicht antun, zumindest für sie musste er weiter leben! Als ihm klar wurde, dass er ein guter Schwimmer war und es wohl kaum schaffen würde zu ertrinken, stieg er vom Deich herunter und fuhr nach Bergedorf zurück.

Während er das Haus betrachtete, entwickelte seine Frau Sonja eine Internetdarstellung für die Stadt Lauenburg. Nach einer Stunde kam Eduard Puttfarken in die Wohnung und unterbrach ihre Tätigkeit mit einem Kuss, doch sie murrte: „Du hast mich schon fünf Tage vernachlässigt, ich komme mir vor wie bei meinem Mann.“ „Entschuldige, mein Täubchen, ich habe elend viel zu tun, aber jetzt habe ich bis Mittag Zeit für Dich.“ „Und wann hast du mal eine ganze Nacht für mich? Ich möchte nach der Liebe deinen Atem hören, wenn du schläfst, das Frühstück mit dir genießen und dann noch einmal mit dir zusammen sein. Lange genug habe ich das entbehrt!“ „Auch das wird eines Tages möglich sein, doch dafür musst du mir noch etwas Zeit lassen, du weißt, ich bin verheiratet. Und jetzt lass uns die Zeit miteinander genießen.“ Er zog sie ins Schlafzimmer und in zärtlichem Spiel waren sie glücklich miteinander. „Jetzt kommt Melanie bald aus der Schule, da muss ich zumindest anständig angezogen sein“, meinte Sonja danach und stand auf.

„Wollte Papa nicht in diesen Tagen zurückkommen?“, fragte das Mädchen nach dem Essen. „Ich weiß nicht, wahrscheinlich ist er noch unterwegs“, log die Mutter. „Aber sonst war er nie so lange weg, und weiß er überhaupt, dass wir jetzt hier wohnen?“, insistierte das Mädchen. „Papa wird schon bald kommen, und dann sagen wir ihm, dass wir jetzt hier wohnen“, wand Sonja sich heraus, dann setzte sie sich wieder an den Rechner, doch ihre Gedanken liefen zur Tochter. Sie war ihr ja das Liebste auf dieser Welt, es war Unrecht, sie zu belügen. Und das Verhältnis zu Eduard entwickelte sich ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Wohl hatten sie ein wundervolles Liebesverhältnis und er hatte ihr auch heute wieder das gegeben, wozu Jannik nie fähig war, doch sie wünschte sich eine dauerhafte Beziehung mit ständiger Anwesenheit des Geliebten. Als sie nach dem Gute-Nacht-Kuss vor Melanies Tür stand, hörte sie ihre Tochter beten: „Lieber Gott, lass Papa bald wieder zurück kommen, ich habe ihn doch so lieb.“ Beschämt wurde ihr klar, dass sie die Tochter irgendwie mit dem Vater zusammen bringen musste, aber sie wollte ihm möglichst nicht mehr begegnen.

Aus Kapitel 2 „Unfall“   

Jannik klingelte an Sonjas Wohnung. „Entschuldige den Überfall“, sagte er höflich, „aber ich möchte mit dir reden, wie es mit uns weiter geht, ich weiß ja gar nicht, was du vorhast.“ „Ich kann dir nur sagen, dass ich ein neues Leben begonnen habe“, begann sie, doch er fiel ihr ins Wort: „Ja, mit Eduard Puttfarken, ist er wenigstens gut im Bett?“ „Du bist noch dasselbe Scheusal wie früher“, schrie Sonja. „Ja, ich habe dich seinetwegen verlassen und will nichts mehr mit dir zu tun haben. Verschwinde aus meiner Wohnung.“ „Immerhin stehen meine Möbel drin, die du mir gestohlen hast“, antwortete er wütend und ging erregt zu seinem Auto. Plötzlich hörte er ein lautes Quietschen, fühlte einen harten Schlag und verlor die Besinnung.

Sonja hatte ihm aus dem Fenster nachgeschaut, sie sah ihn auf die Straße taumeln, hörte das Quietschen und ihn aufs Pflaster knallen. Da war aller Streit vergessen, sie griff zum Telefon und rief die 112 an. „Verkehrsunfall am Altengammer Hauptdeich 132, ein Schwerverletzter“, rief sie in den Hörer, dann hastete sie auf die Straße. Jannik blutete an der Schläfe und auch an der Seite unter der zerrissenen Kleidung. Nach fünf Minuten war der Rettungswagen da und die Sanitäter nahmen Jannik vorsichtig auf die Trage. „Bringen Sie den Verletzten bitte nach Geesthacht ins Johanniter-Krankenhaus, dort arbeitet seine Mutter“, bat sie.

Sie rief das Krankenhaus an und gab Janniks Mutter die Information über Janniks Unfall und dass er zu ihr gebracht werde. Als sie wieder in der Wohnung war, überlegte sie, warum sie sich so eifrig um den verunglückten Jannik gekümmert hatte. Sicherlich hätte sie das auch bei einem Fremden getan, aber bestimmt nicht so intensiv. Fühlte sie im Innersten doch noch etwas für ihn? Auf jeden Fall wollte sie sich am Abend bei seiner Mutter nach ihm erkundigen

Die Operation dauerte anderthalb Stunden, dann wurde Jannik in die Intensivstation gebracht. Nach dem Essen schaute Maria nach ihm und erzählte, dass er vor Sonjas Haustür einen Unfall gehabt habe. Sonja habe den Rettungswagen gerufen und in dieses Krankenhaus geschickt. Da erinnerte er sich an den Besuch und den Streit. „Ja, es war noch schlimmer als früher, sie hat mich regelrecht aus der Wohnung geworfen. Dabei wollte ich doch nur von ihr wissen, wie es mit uns weiter gehen soll. Falls sie sich meldet, bitte sie doch, mir mal die Melanie her zu schicken, ich habe große Sehnsucht nach ihr“, sagte er.

Beim Essen berichtete Sonja: „Papa war hier und leider haben wir uns wieder gestritten, ich glaube, wir passen nicht zusammen. Und dann ist er auf der Straße angefahren worden. Aber er ist im Krankenhaus bei Oma Maria.“ „Ich muss ihn besuchen, damit er schnell wieder gesund wird“, antwortete das Mädchen und fuhr fort: „Du sagst, Papa und du, ihr passt nicht zusammen, wollt ihr euch scheiden lassen? Und heiratest du dann Onkel Eduard, du liebst ihn doch schon ganz richtig?“ Sonja zuckte zusammen, das Mädchen hatte mehr mitbekommen, als ihr lieb war. Sie wusste ja Bescheid über Sexualität, neulich hatte sie vom Sexualkundeunterricht in der Schule erzählt und gefragt, ob Papa und sie sich umarmt und richtig geliebt hätten, damit sie geboren wurde. Sie hatte das bestätigt und wehmütig an die Zeiten gedacht, als sie die Liebe mit Jannik noch genossen hatte. Doch Melanie hatte noch etwas auf dem Herzen: „Wenn du Papi nicht mehr liebst, ist das deine Sache. Aber ich habe ihn gern und lasse mich nicht von ihm trennen“, sagte sie ziemlich heftig.

„Entschuldige bitte, dass ich dich gestern so fies behandelt habe“, sagte Sonja verlegen beim Besuch in der Klinik, „ich glaube, damit habe ich deinen Unfall verschuldet, denn du warst ja völlig durch den Wind.“ „Nun ja, ich war ja auch nicht sehr vornehm zu dir, bitte entschuldige mich auch.“ „Ich glaube, wir brauchen uns nichts vorzuwerfen, ich will dir aber deine Frage ehrlich beantworten: Ja, Eduard ist ein wundervoll zärtlicher Liebhaber und ich fühle mich zum ersten Mal als Frau verstanden. Verzeih‘ mir, dass ich das so offen sage, aber du sollst wissen, was mir außer deiner ständigen Abwesenheit auch noch gefehlt hat.“

Jannik atmete schwer, dann hatte er sich gefangen. „Ich danke dir für deine offenen Worte. Maria hat mir gestern klar gemacht, dass vor allem ich an unseren Problemen schuld bin. Wenn du uns noch eine Chance gibst, könnte ich mein Berufsleben umstellen, denn ich liebe dich trotzdem noch. Und vor allem vermisse ich Melanie.“ „Das geht ihr ähnlich, denn sie hat immer wieder nach dir gefragt“, antwortete Sonja. In diesem Moment trat Maria mit der Tochter ins Zimmer und sagte, der Kranke brauche jetzt Ruhe und die beiden müssten leider gehen. Die Tochter drückte dem Vater einen Kuss auf die Wange und Sonja gab ihm die Hand.

Montag präsentierte Sonja ihre Arbeit in Lauenburg. Als sie in die Wohnung zurückkam, saß Eduard maulend auf der Couch. „Seit einer Stunde warte ich hier auf dich. Und für wen hast du dich so schön gemacht?“, meckerte er. „Guten Morgen, mein Lieber, schönen Dank für die unfreundliche Begrüßung“, antwortete sie ironisch, „immerhin habe ich noch einen Beruf, mit dem ich Geld verdiene. Ich war in Lauenburg und habe meine Arbeit abgegeben, an der ich zwei Wochen gebastelt habe. Und im Übrigen muss ich hier nicht nur sitzen und darauf warten, dass du irgendwann mal Zeit für mich hast!“ „Was ist denn mit dir los, ist etwas passiert?“ fragte der Mann irritiert.

„Jannik war hier und wir haben uns gestritten“, antwortete Sonja. „Dann ist er auf der Straße angefahren und schwer verletzt worden. Ich habe ihn ins Johanniter-Krankenhaus bringen lassen, wo seine Mutter arbeitet. Samstag habe ich ihn mit Melanie besucht. Sie fiel gleich über ihn her und küsste ihn, da ist mir klar geworden, dass ich sie nicht von ihm trennen darf.“ „Und willst du dich auch nicht von ihm trennen“, fragte der Mann lauernd. „Ich weiß nicht, was ich will. Bei dem Besuch habe ich noch etwas für Jannik gefühlt, vielleicht war es nur Mitleid. Er ist bereit, sein Berufsleben umzustellen, weil er mich noch liebt.“ „Wenn du irgendwann weißt, was du willst, kannst du mir ja Bescheid sagen“, polterte Eduard und schlug die Tür hinter sich zu.

Sonja saß wie versteinert auf der Couch. Bisher hatte sie Eduard als feinfühligen Mann kennen gelernt, der sehr um sie besorgt war und ihr die Tage schön machte. Die Liebe mit ihm hatte sie die frühere körperliche Gemeinschaft mit ihrem Mann völlig vergessen lassen. Und nun benahm er sich wie die Axt im Walde, sollte sie sich so in ihm getäuscht haben, er war ja keinen Deut besser als ihr Mann.

Zur selben Zeit hörte auf der inneren Station des Johanniter-Krankenhauses eine Schwester ein gurgelndes Stöhnen aus Janniks Zimmer und öffnete die Tür. Der Patient lag auf der Seite und das ganze Bett war voller Blut. Sie bekam einen Mordsschreck und gab den Alarmruf ab. Im OP stellten die Ärzte fest, dass eine der gebrochenen Rippen sich gelöst und quergestellt, dabei die Lunge verletzt und die Operationswunde aufgebrochen hatte. Der Patient wurde in ein künstliches Koma gelegt werden, um Bewegungen auszuschließen. Maria rief Sonja an, dass ein Besuch vorläufig nicht möglich sei, weil Jannik einen lebensgefährlichen Rückfall hatte.

Als Sonja von Janniks Rückfall hörte, fühlte sie echte Sorge um ihren Mann. Beim Essen berichtete sie der Tochter vom Rückfall, worauf der wieder die Tränen in die Augen schossen. „Aber er muss doch nicht sterben?“, schluchzte sie, worauf die Mutter sie beruhigte: „Oma Maria wird sicher gut auf ihn aufpassen.“ „Aber ich bin traurig, dass wir ihn jetzt nicht besuchen können, ich hab‘ ihn doch lieb“, fuhr das Mädchen fort und Sonja musste sich auf die Zunge beißen, um den Gedanken „mir geht es doch genauso“ nicht auszusprechen, der ihr in diesem Moment in den Sinn kam. „Wie komme ich zu solchen Gedanken?“, fragte sie sich verwundert.

 Aus Kapitel 3 „Altersweisheit“   

Als Maria etwas Zeit hatte, rief sie Sonja an, Jannik gehe es besser, er sei aus dem Koma geweckt worden, müsse aber vorläufig noch auf der Intensivstation bleiben. Ob sie sie zum Abend mit Melanie besuchen wolle, sie habe das Gefühl, sie beide müssten einmal in aller Ruhe miteinander sprechen. Allerdings sei ihr Freund Hermann bei ihr, würde aber gehen, wenn Sonja ihn nicht dabei haben wolle. Sonja stimmte gerne zu, denn sie hatte ihre Schwiegermutter schon immer gemocht. Bei der Begrüßung stellte Maria Hermann Kraft als ihren Freund vor und Sonja fand ihn sympathisch.

„Ich hatte doch immer den Eindruck, dass du mit Jannik ein Herz und eine Seele warst. Was ist denn passiert?“, begann Maria. Sonja überlegte, bevor sie antwortete: „Du hast Recht, wir waren lange Zeit glücklich miteinander und als Melanie geboren wurde, waren wir die glücklichsten Eltern auf der Welt. Doch vor fünf Jahren haben sie bei Archidesign gemerkt, welch gewiefter Troubleshooter Jannik war und schickten ihn immer öfter ins Ausland, um Probleme zu klären. Oft war er nur zwei Tage zu Hause, dann fuhr er schon wieder ab. Und wenn er dann zu Hause war, erzählte er begeistert von seinen Erfolgen, statt sich uns zu widmen. In den ersten Jahren habe ich meinen Ärger runtergeschluckt. Doch irgendwann reichte es mir, ich warf ihm offen vor, mich zu vernachlässigen.“

„Du hast doch einen Freund, wie hast du ihn denn kennengelernt“, fragte Maria. „Vor acht Monaten rief mich der Tischlermeister Eduard Puttfarken an, ein früherer Schulfreund, er habe gehört, dass ich Webseiten gestalte und wolle seine Firma ins Internet bringen. Ich legte ihm ein Konzept vor, das ihm gefiel. ‚Komm in drei Tagen zu mir, da kannst du den Entwurf anschauen‘, sagte ich und er brachte drei orange Rosen mit. Natürlich freute ich mich darüber, das war Balsam auf meine Seele, Jannik hatte mir schon lange keine Blumen geschenkt.

Nach zwei Tagen ging ich mit der fertigen Arbeit zu ihm. ‚Du hast eine hervorragende Arbeit geleistet‘, sagte er, ‚darf ich dich dafür heute Abend ins Blockhaus einladen?‘ Ich hatte nichts dagegen. Der Abend war so harmonisch, dass ich ihn noch nicht beenden wollte und nahm ihn mit zu mir. Bei einem Glas Cognac legte er den Arm um mich und zog mich zu sich. Wir schauten uns in die Augen und da hatten sich die Münder schon gefunden. Unsere Küsse wurden immer wilder und es dauerte nur Minuten, bis wir uns die Kleider vom Leib rissen und ineinander versanken, ich war ja wie ausgehungert.

Vor einem Monat erzählte er, dass in seinem neuen Mehrfamilienhaus in Altengamme eine Wohnung fertig sei, ich könne dorthin umziehen. Ich war inzwischen so weit von Jannik entfernt, dass ich zustimmte. Natürlich hatte ich nie vor, die ganze Wohnung auszuräumen, aber er hat es einfach getan und ich habe es leider nicht verhindert. So, nun wisst ihr Bescheid und könnt mich verurteilen.“ Mit diesen Worten nahm sie einen tiefen Schluck aus dem Glas und lehnte sich erschöpft auf dem Sofa zurück.

„Wir werden dich nie verurteilen, dazu haben wir gar kein Recht“, meldete sich Hermann. „Aber ich möchte das Zerwürfnis mit deinem Mann besser aufklären. Du sagst, du hättest dich über seine viele Abwesenheit geärgert, sie aber hingenommen. Hast du denn versucht, andere mit einzubinden?“ „Wieso andere, das ging doch nur uns beide etwas an“, antwortete Sonja verständnislos. „Eben nicht“, fuhr Hermann fort, „denn die Störung eurer Gemeinschaft kam ja von außen, von seiner Firma. Da lag es doch auf der Hand, seinen Chef anzusprechen.“ „Ich hatte eine Scheu davor, ihn mit unseren privaten Problemen zu belästigen.“

„Du hast ja keine Erfahrung als Vorgesetzter“, fuhr Hermann fort „aber in der Führungslehre gibt es eine Regel, dass ein Chef auch für das persönliche Umfeld seiner Mitarbeiter eine Verantwortung trägt, soweit es durch die Arbeit beeinflusst wird. Sicherlich hat Janniks Chef gemeint, er würde zwischen Arbeit und Familie klar kommen, aber ein paar Worte von dir hätten ihn nachdenklich machen müssen.“ „ Du könntest Recht haben“, meinte Sonja, „habe ich denn noch mehr falsch gemacht?“

„Mir drängt sich die Frage auf, wie du ihn behandelt hast, wenn er mal zu Hause war“, meinte Maria nachdenklich. „Es reicht doch nicht, seinen Ärger schweigend herunter zu schlucken oder zu streiten, wenn man einen Mann halten will. So hat er gar nicht gemerkt, was ihm fehlt. Ich hätte ihn in die Arme genommen und gesagt: ‚Schön dass du da bist‘, hätte diese kurzen Besuche so liebevoll wie möglich gestaltet, damit er merkt, was ihm unterwegs abgeht. Das hätte ich dir sicherlich sagen können, wenn du mich um Rat gefragt hättest.“

„Ich habe das Gefühl, immer kleiner zu werden, soviel habe ich falsch gemacht“, flüsterte Sonja, „und dann kam auch noch die Affäre mit Eduard dazu.“ „Da will ich wiederholen, was ich schon zu Jannik gesagt habe“, antwortete Maria: „‚Keine gesunde Frau erträgt es auf die Dauer, jede Nacht alleine im Bett zu liegen und von der Liebe nur zu träumen‘. Du hattest eine tiefe Sehnsucht nach Liebe, Zärtlichkeit, Zuwendung, erotischer Erfüllung, die Jannik schon lange nicht mehr ausfüllte. Und dann kommt plötzlich ein Mann, der diese Sehnsucht mit allen Facetten erfüllt, sogar inniger als du es je erlebt hast, dafür kann man dir doch keinen Vorwurf machen.“ „Danke“, sagte Sonja mit Tränen in den Augen, „ich habe nicht geglaubt, dass ihr das gutheißt.“

Am nächsten Abend erzählte Maria ihrem Sohn von dem Gespräch mit Sonja. „Wir sind doch richtig blöd gewesen“, meinte er nachdenklich, „siehst du denn noch eine Hoffnung?“ Maria brachte ihm vorsichtig bei, dass seine Frau mit Eduard Puttfarken eine derartige erotische Erfüllung gefunden habe wie nie mit ihm. „Doch ich glaube, man kann es lernen, eine Frau ganz zu erfüllen“, tröstete sie ihn. „Dafür müsstest du sie allerdings zurück gewinnen, und ob sie dazu bereit ist, weiß ich nicht.“ Diese Worte zeigten Jannik, dass er jetzt unbedingt etwas tun musste, um mit Sonja zumindest wieder ins Gespräch zu kommen. Die Woche bis zum möglichen Besuch wollte er nicht warten. Vielleicht könnte er ihr einen Brief schreiben, in dem er seine Bitte darlegte, wieder mit ihr zusammen zu finden? Er ließ sich Schreibzeug geben und überlegte lange, bis er den Brief fertig hatte:

26. 5. 2013, Liebe Sonja,

ich weiß nicht, ob ich noch das Recht habe, Dich mit so anzusprechen. Wenn Du es nicht für angebracht hältst, vergib mir bitte. Als erstes möchte ich Dich ganz herzlich dafür um Verzeihung bitten, dass ich Dich und Melanie in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt und damit unsere Gemeinschaft zerstört habe. Mir war überhaupt nicht klar, dass ich nur noch meinen beruflichen Erfolgen nachjagte und Euch dabei völlig vergaß. Das ist unverzeihlich und ich muss es akzeptieren, wenn Du jetzt nichts mehr von mir wissen willst.

Zum zweiten will ich Dir etwas sagen, was Dir vielleicht unwahr vorkommen wird, aber es ist meine volle Überzeugung: Ich liebe Dich noch immer über alles, es gibt keinen Menschen auf der Welt, der mir lieber und wertvoller ist als Du. Nur mit Dir würde ich gerne mein weiteres Leben verbringen. Und weil ich Dich so grenzenlos liebe, bin ich bereit, mein berufliches Leben völlig auf den Kopf zu stellen, selbst wenn ich mir dafür einen anderen Job suchen muss. Natürlich muss ich für uns Geld verdienen, aber ich habe begriffen, dass das bei weitem nicht im bisherigen Umfang notwendig ist. Auf jeden Fall werde ich überwiegend in Hamburg tätig sein, das verspreche ich Dir ganz fest.

Ich weiß, dass ich Dich jetzt mit meinen Gedanken überfalle. Auf keinen Fall will ich Dich zu einer Entscheidung drängen, ich bitte Dich nur, meine Worte sorgfältig zu erwägen, trotz allem, was ich Dir angetan habe. Aber die Verbindung zu Melanie möchte ich unbedingt aufrechterhalten, egal, wie Du Dich entscheidest. In einer Woche soll ich die Intensivstation verlassen und würde mich sehr über euren Besuch freuen. Ich grüße Dich und unsere Tochter von Herzen, Jannik

                                  Aus Kapitel 4 „Näherung“             Seitenanfang                  Literaturverzeichnis

Montag früh fand Sonja Janniks Brief, der sie sehr nachdenklich stimmte. Er hatte die Schuld an dem Zerwürfnis auf sich genommen und geschrieben, dass er sie noch über alles liebe, eine völlige Änderung seines Berufslebens versprochen und ihr die Entscheidung über ihr weiteres Verhältnis überlassen. „Will ich denn noch einmal mit ihm zusammen leben? Das hieße doch, Eduard aufgeben, bin ich dazu bereit? Nein, das kann ich nicht!“, rief sie und machte sich an die Arbeit für ihren neuen Kunden, aber ständig liefen ihre Gedanken zu Janniks Brief. So völlig ablehnen durfte sie seine Bitte um eine Versöhnung wohl nicht.

Dienstag besuchte Eduard Puttfarken sie wieder. Janniks Brief war noch in ihren Gedanken und sie konnte ihn nicht völlig verdrängen, während sie mit dem Geliebten vereint war. „Mein Täubchen, wo warst du denn während unserer schönen Stunde?“, fragte er. Sonja war bestürzt. „Kann ich ihm von Janniks Brief erzählen?“, fragte sie sich verzweifelt, „nein, das muss ein Geheimnis zwischen Jannik und mir bleiben.“ So entschloss sie sich wieder zu einer Lüge: „Ich stehe seit gestern vor einem Problem mit der Webseite für ein Hotel-Restaurant, ich komme damit nicht weiter und konnte auch jetzt nicht abschalten, entschuldige bitte.“ „Du warst mal eine wunderbare Geliebte für mich, aber eben habe ich dich nur als Geschäftsfrau kennen gelernt.“ Damit verschwand er nach einem flüchtigen Kuss.

Sonja dachte noch über ihre Ausrede nach. Was war denn mit ihr los, dass sie den Geliebten mit dem Brief ihres Ehemanns hinterging? Da musste doch etwas in ihr sein, das Jannik mit seinem Brief geweckt hatte. Nachmittags kam ihr die rettende Idee für das Projekt: Sie würde einen vollkommen neuen Webauftritt gestalten und die brauchbaren vorhandenen Teile an den richtigen Stellen einbauen. Um die gesellschaftsrechtlichen Konditionen richtig einzuschätzen, schaute sie in das Handelsregister, wo sie auch Eduards Firma fand und einen Schock bekam: Eigentümerin war seine Frau, die nach dem Tode ihres Vaters den Betrieb geerbt hatte. Damit ging schlagartig ihre Hoffnung auf ein gemeinsames Leben mit Eduard in Rauch auf. Lange konnte sie nicht einschlafen und dachte über die Konsequenzen ihrer Entdeckung nach, bis sie an Janniks Brief dachte. Der gab ihr Ruhe.

Freitag konnte Jannik die Intensivstation verlassen und Maria informierte Sonja, dass sie ihn mit Melanie besuchen könne. Als Sonja und Melanie am Samstag das Krankenzimmer betraten, lief das Mädchen gleich auf den Vater zu und küsste ihn. „Fein, dass dein dicker Verband um den Kopf weg ist“, rief sie lachend, „da kann ich dich viel besser küssen.“ Sonja gab ihrem Mann freundlich die Hand, die er eine ganze Weile festhielt und zart drückte. Als er fragte, woran sie vor zwei Wochen so eifrig gearbeitet hatte, berichtete sie stolz von dem erledigten Auftrag für Lauenburg und dem aktuellen für das Hotelrestaurant. „Kannst du mir das nicht mal zeigen?“, bat er, und Sonja versprach, morgen ihren Laptop mitzubringen. Darüber verging die Zeit, bis Maria die beiden mit der Bemerkung hinaus komplimentierte, der Patient brauche jetzt Ruhe, sie könnten morgen um dieselbe Zeit wiederkommen.

Sonntag kamen die beiden wieder in die Klinik und Sonja zeigte Jannik den Internetauftritt für Lauenburg. „Ich habe gar nicht gewusst, dass du so professionell arbeitest“, staunte er. „Du hattest ja leider schon lange keine Zeit mehr, meine Arbeiten anzuschauen“, antwortete sie mit einem leichten Vorwurf in der Stimme. Da bat das Kind: „Ich habe doch in einer Woche Geburtstag, können wir den nicht hier zusammen feiern, denn du kannst ja wohl noch nicht aus dem Krankenhaus raus und ich möchte dich gerne dabei haben.“ „Wir müssen aber Oma Maria fragen, ob das überhaupt geht“, überlegte Sonja. Die meinte, das ließe sich wohl einrichten. Zufrieden verließen die beiden das Krankenzimmer. Sonja war stolz über Janniks Lob für ihre Arbeit.

Montag fuhr Sonja alleine zur Klinik. Als sie das Krankenzimmer betrat, begrüßte Jannik sie erfreut: „Schön, dass du alleine gekommen bist, da können wir in Ruhe miteinander reden. Gestern war Klaus Bollmann hier und hat ziemlich zerknirscht berichtet, dass Frau Dr. Jansen, unsere große Chefin, ihm vorgeworfen hat, er hätte merken müssen, dass ich nur die Arbeit im Sinn habe und euch vernachlässige. Meine Mutter hat mir ja dasselbe vorgeworfen. Hier hatte ich jetzt genügend Zeit, darüber nachzudenken und da ist mir meine Schuld deutlich geworden. Deshalb habe ich dir vor einer Woche den Brief geschrieben. Ich muss völlig von der Rolle gewesen sein, nur noch an den Erfolg bei der Arbeit zu denken, es hatte mich gepackt wie eine Sucht. Frau Dr. Jansen ist eine kluge Frau, sie hat zu Klaus gesagt, wenn ich wieder gesund bin, würde man für mich eine Tätigkeit suchen, bei der ich viel mehr in Hamburg bin und Zeit für meine Familie habe. Ich liebe dich doch noch immer, ganz abgesehen von Melanie. Wäre das eine Perspektive?“

„Ich hatte vor zwei Wochen ein langes Gespräch mit deiner Mutter und ihrem Freund, bei dem ich zum ersten Mal über das Zerwürfnis zwischen uns sprechen konnte“, antwortete Sonja „Da haben mir die beiden gezeigt, dass ich auch viel falsch gemacht habe. Sie haben dich nicht freigesprochen, aber eben auch meine Fehler aufgezeigt. Als erstes meinte Hermann, ich hätte Klaus Bollmann ansprechen sollen, unter Umständen auch ohne dein Wissen. Der wäre verpflichtet gewesen, dich zu entlasten. Ich meinte ja, unser Problem geht nur uns beide alleine an und habe überhaupt nicht daran gedacht, Außenstehende könnten uns vielleicht helfen. Und dann fragte Maria, wie ich dich behandelt habe, wenn du mal zu Hause warst, da musste ich gestehen, dass ich dich nur mit Vorwürfen überhäuft habe. Sie meinte, wenn ich da liebevoll zu dir gewesen wäre, hättest du vielleicht etwas gemerkt und wärst mehr zu Hause geblieben. Dann hat sie noch etwas gesagt, was Balsam für meine Seele war, dass sie nämlich Verständnis für meine Affäre mit Eduard Puttfarken hat, weil er mir zum ersten Mal gezeigt hat, dass ich eine Frau bin.“

Sicherlich muss ich bald auf deinen Brief eingehen, wir beide müssen darüber sprechen, ob und wie es mit uns weiter gehen kann, schon um Melanies willen. Aber im Augenblick bin ich dazu nicht in der Lage, denn ich weiß überhaupt nicht, wo ich zwischen dir und Eduard stehe. Wenn ich auch manchmal noch etwas für dich empfinde, fühle ich mich doch auch sehr zu ihm hingezogen, obwohl Erotik die einzige Bindung zwischen uns ist. Eine dauernde Gemeinschaft mit ihm scheint nicht möglich, denn das Geschäft gehört seiner Frau. Für Melanie müssen wir aber auf jeden Fall eine Lösung finden.“

Jannik wusste darauf keine Antwort, da war es ihm ganz recht, dass seine Mutter ins Zimmer kam und Sonja bat, den Patienten jetzt alleine zu lassen. „Wir müssen wir uns auch allmählich Gedanken über die Geburtstagsfeier machen“, meinte sie. „Ja“, fiel es Jannik ein, „wir brauchen ja noch ein Geburtstagsgeschenk für Melanie. Kauf‘ ihr doch bitte ein gutes Handy mit Android-Betriebssystem und einer Prepaid-Karte. Damit kann sie sich auch allmählich mit dem Internet vertraut machen.“ „Ich werde mal sehen, ob ich was Einfacheres kriege, das ebenso gut ist“, antwortete Sonja, bevor sie voller Gedanken nach Hause fuhr. Jannik hatte in ihr eine Saite zum Klingen gebracht, die sie schon lange nicht mehr vernommen hatte. Jannik wurde immer mehr klar, wie sehr er Sonja liebte und er berichtete Maria bewegt über das Gespräch. „Du und Hermann habt euch ja wirklich um uns verdient gemacht, indem ihr Sonja in aller Freundlichkeit gezeigt habt, dass sie auch Fehler gemacht hat. Habt vielen Dank dafür.“

„Das Gespräch mit Sonja musste sein, um sie aus ihrem Selbstmitleid herauszubringen, dem Gefühl, ständig schlecht behandelt worden zu sein“, sagte Maria nachdenklich. „Habt ihr denn schon darüber gesprochen, wie es weitergehen kann?“ „Nein, ich will sie in keiner Weise drängen, ihr nur wieder näher kommen. Ein Punkt macht mir allerdings Sorge: Sonja sagt ganz klar, die Erotik sei das einzige, was sie an Eduard fesselt. Sie war ja noch Jungfrau, als wir zueinander fanden, und ich habe vor ihr nur eine unbedeutende Begegnung gehabt. So hielt ich mich für keinen schlechten Liebhaber. Und nun erfahre ich, dass ein anderer Mann sie ganz anders zu erfüllen versteht. Ich habe keine Ahnung, was ich falsch gemacht habe. Vielleicht sollte ich mal einschlägige Bücher lesen.“

„Ich glaube, ich weiß eine bessere Lösung“, sagte Maria. „Ich habe ja erst durch Hermann gelernt, wie wunderbar körperliche Liebe sein kann. Was hältst du davon, wenn du mal mit ihm von Mann zu Mann offen darüber sprichst?“ „Das ist eine tolle Idee, vielen Dank, Mutti“, freute sich Jannik. „Ich muss dich warnen, er ist ein versierter Analytiker und wird dich bis aufs Hemd ausfragen. Bist du dazu bereit?“ „Ich bin zu allem bereit, wodurch ich Sonja zurück gewinnen kann, was es auch ist“, rief Jannik voller Überzeugung.

„Um dir helfen zu können, muss ich wissen, wie du zu Erotik und Sexualität stehst, was sie dir bedeuten“, sagte Herrmann zu Beginn des Gesprächs. „Dafür muss ich dir einige sehr intime Fragen stellen, bist du dazu bereit?“ „Ich bin zu allem bereit, wodurch ich Sonja zurück gewinnen kann“, antwortete Jannik mit fester Stimme. „Ich bin vor allem Architekt, ein technisch orientierter Mensch. Natürlich finde ich Erotik schön und habe Freude dran, aber wenn ich mich entscheiden müsste zwischen einer erotischen Nacht und einer vollkommenen Architektur, würde ich wohl das Letzte wählen. Etwas Außergewöhnliches hat mir die Erotik nie bedeutet.“

„Das sagt mir vieles über dein Problem, doch mit dieser Einstellung kannst du nie einer Frau die körperliche Erfüllung geben“, meinte Hermann lächelnd. „Erzähl‘ mir doch mal, wie du Sonja kennen gelernt hast und wie sich dann eure Beziehung weiter entwickelt hat.“ „Ich sah sie 1996 auf dem Kostümfest LiLaBe. Sie war eine hinreißende junge Frau mit langen Haaren und ich habe mich sofort in sie verliebt, das erste Mal in meinem Leben. Wir tanzten viel miteinander, sie ließ sich zum Abschied küssen und lud mich zum nächsten Sonntag zu sich nach Hause ein. Das Essen war vorzüglich, aber ich fühlte mich von den Eltern als ehemaliger Ossi bemitleidet.

Wir trafen uns oft und sie kam auch ab und zu mit in meine Wohnung, ging aber stets vor Anbruch der Nacht. Silvester 1996 feierten wir in einer netten Gaststätte in der Nähe, und da es sehr spät war, lud ich sie ein, bei mir zu übernachten, ich würde auf der Couch schlafen. Sie stimmte zu, doch nach einer Weile rief sie mich zu sich, es sei so kalt und einsam im Bett. Wir fanden dieses erste Mal sehr schön zueinander und trafen uns öfter. Nach einem halben Jahr wurde uns das getrennte Wohnen leid und Sonja zog zu mir. 2000 hatte sie ihre Ausbildung beendet und verdiente zum ersten Mal eigenes Geld. Da heirateten wir und nahmen die größere Wohnung in Neu-Allermöhe.“

„Wie hast du denn diese erste intime Begegnung mit Sonja empfunden?“, fragte Hermann. „Ich war überrascht, dass sie noch unberührt war und nahm das als liebevolles Geschenk für mich“, antwortete er schwärmerisch. „Es war schon ein besonderes Erlebnis für mich, mit ihr zusammen zu sein, viel schöner als wenn ich es mir selbst mache.“ „Erzähl‘ doch mal, wie das bei euch abläuft“, wollte Hermann wissen. „Wir küssen uns herzlich, bis ich so weit bin und dann sind wir zusammen.“ „Und wie geht es danach weiter?“ „Wir küssen uns noch einmal und drehen uns zum Schlafen.“ Hermann sagte eine Weile nichts und musste sich zusammen nehmen, um nicht den Kopf zu schütteln. „Kein Wunder“, dachte er, „dass diese Frau beim ersten richtigen Mann aufgewacht ist. Da habe ich ja einiges zurecht zu rücken.“

Abends berichtete er Maria über das Gespräch. „Der Junge hat ja nicht die geringste Ahnung, dass eine Frau Zärtlichkeit, Zuwendung und viel Behutsamkeit in der Liebe braucht.“ „Sicherlich habe ich es auch daran fehlen lassen“, wandte Maria ein. „Nein du konntest doch einem Kind oder jungen Mann nicht sagen, worauf es bei einer Frau in der Liebe ankommt. Ich werde ihm ein seriöses Buch besorgen, da kann er die Grundlagen lesen und dann gebe ich ihm vielleicht noch einige zusätzliche Erläuterungen.“

Donnerstag suchte er in den Hamburger Buchhandlungen ein seröses Aufklärungsbuch für Erwachsene, in dem beschrieben wird, wie der Mann behutsam auf die Gefühle der Frau eingehen kann. „Zeit für Zärtlichkeit“ von Mathias Jung schien ihm geeignet und er brachte es Jannik ins Krankenhaus. „Ich glaube, daraus kannst du mehr lernen, als wenn ich dir lange Vorträge halte“, sagte Hermann entschuldigend und Jannik dankte ihm, er wolle gleich anfangen zu lesen.

Als Sonja am Nachmittag wieder mit Melanie kam, rief Jannik froh: „Der Arzt sagt, ich kann in zwei Wochen entlassen werden, muss mich aber noch schonen. Am besten sei der Aufenthalt in einem Bad mit ärztlicher Betreuung. Er hat mir ein paar Prospekte gegeben. Vielleicht kannst du sie mal im Netz anschauen, was geeignet ist.“ „Da bist du ja wieder weg von uns, können wir nicht mitkommen, ich habe doch dann Ferien?“, fragte Melanie hoffnungsvoll. „Ich werde mal recherchieren“, sagte Sonja. Ihrer Tochter würde der gemeinsame Aufenthalt wohl gefallen, aber wollte sie wirklich ein paar Wochen auf Eduards Liebe verzichten und mit Jannik zusammen sein?

In diese Gedanken platzte Maria hinein und bat, sich zu verabschieden. „Ich habe den beiden erzählt, Dass ich in ein Bad fahren soll und Melanie wollte sofort mitkommen. Nur Sonja war das anscheinend nicht recht“, berichtete Jannik zweifelnd, als die beiden gegangen waren. „Dräng‘ sie nicht, kommt Zeit kommt Rat“, lächelte seine erfahrene Mutter.

Mit immer stärkerem Staunen las Jannik am nächsten Tag das Buch, das Hermann ihm besorgt hatte. „Woher wissen denn andere Männer all das, wenn sie ihre Frauen lieben?“, dachte er verwundert. „Ich bin ja wohl mit Sonja ein gefühlloser Esel gewesen und darf es ihr gar nicht übelnehmen, dass sie bei einem anderen Mann bessere Erfüllung gefunden hat. Hoffentlich kann ich das irgendwann in die Tat umsetzen.“

Zur selben Zeit verbrachte Sonja mit Eduard Puttfarken wieder zwei innige Stunden. Vorsichtshalber fragte er sie nicht weiter nach Jannik, und sie war sich ihrer Gefühle so unsicher, dass sie nichts darüber sagte. Doch ihre Unsicherheit wurde zur bitteren Gewissheit, als sie nachmittags auf dem Lidl-Parkplatz in Neuengamme seinen Wagen sah. Sie wollte ihn begrüßen, da sah sie, wie er in der Fahrerkabine eine Kassiererin des Ladens in enger Umarmung küsste. Mit Tränen in den Augen lief sie zu ihrem Wagen und fuhr nach Hause. „Bin ich nicht die Einzige für dich, schenkst du dieser Frau genau solche wundervollen Stunden wie mir?“, wirbelte es in ihrem Kopf herum. Würde sie bereit sein, ihn mit einer anderen Frau außer seiner Ehefrau zu teilen? „Niemals!“, rief sie laut, was zum Glück niemand hörte.

 Aus Kapitel 5 „Geburtstag“       

Zur Geburtstagsfeier war der Raum mit Blumen geschmückt, in der Mitte stand ein gedeckter Tisch mit zehn Kerzen und acht Stühlen. Nachdem Melanie ihren Vater stürmisch begrüßt und er ihr gratuliert hatte, gab Sonja ihm die Hand. Doch er ließ die Hand nicht los, sondern führte sie an die Lippen. Sonja war so verblüfft, dass sie die Hand nicht zurückzog. Auf einem kleinen Tisch lagen hübsch verpackt das Smartphone und die anderen Geschenke. Gleich darauf kamen fünf Mädchen und Jungen, die ein Vater mit seinem VW-Bus gebracht hatte, und gratulierten dem Geburtstagskind mit großem Trubel.

Als der Kuchen verputzt war, ging es ans Auspacken. Melanie öffnete zuerst die kleinen Geschenke der Freunde und dankte ihnen herzlich. Als letztes öffnete sie den Karton mit dem Smartphone und stieß einen Jubelruf aus. „Das ist von Papa“, sagte Sonja, worauf das Kind dem Vater um den Hals fiel. „Das wünsche ich mir schon lange, aber Mama meinte, ich sei noch zu klein dafür. Dabei bin ich doch schon zehn. Danke, danke, danke, Papa!“ Jannik ließ sich das Geschenk zeigen und stellte fest, dass es zwar nicht das Teuerste, aber doch ein sehr ordentliches Gerät war. „Danke Sonja“, sagte er leise, „ich denke, du wirst sie in die Bedienung einführen.“

Nach zwei Stunden meinte Maria, es sei Zeit zum Aufbruch, der Patient brauche noch viel Ruhe, Da stand Melanie auf und schlug an ihre Tasse, alle sahen sie erwartungsvoll an. „Ich habe noch einen besonderen Wunsch zu meinem Geburtstag“, sagte sie mit fester Stimme. „Liebe Mami, lass uns in den Ferien gemeinsam mit Papa in ein Kurbad fahren. Ich möchte so gerne eine Weile mit euch beiden zusammen sein.“ Die beiden Eltern sahen sich an, Sonjas Gesicht zeigte Ratlosigkeit. Als sie sich von ihrem Mann verabschiedete, führte er wieder ihre Hand an die Lippen, ohne dass sie reagierte.

„Lass mich doch mal deine Wohnung sehen, ich weiß ja gar nicht, wie du dich eingerichtet hast“, sagte Sonjas Mutter. „OK“, antwortete Sonja, „dann iss mit uns Abendbrot.“ Danach sagte die Mutter: „Vorhin habe ich gemerkt, dass Jannik dir wohl nicht gleichgültig ist und auf der anderen Seite bist du häufig mit Eduard zusammen. Eine eindeutige Entscheidung mit einem radikalen Schnitt mag im ersten Augenblick schmerzhaft sein, aber auf die Dauer bringt sie klare Verhältnisse. Falls du wieder mit Jannik zusammen leben willst. kannst du nicht gleichzeitig einen Liebhaber haben, das würde eure Gemeinschaft schnell wieder kaputt machen.“

Sonja seufzte: „Ich weiß, wovon du sprichst und bin völlig zerrissen, aber ich komme einfach zu keiner Lösung. Für Jannik fühle ich noch ein bisschen, besonders nach seinem Unfall, den ich mit verschuldet habe. Immerhin hat er mir einen sehr lieben Brief geschrieben, dass er mich über alles liebt und seine Arbeitswut zügeln will. Auf der anderen Seite verbindet mich mit Eduard die fantastische körperliche Geborgenheit, die ich erst bei ihm kennen gelernt habe. Aber er kann sich von seiner Frau niemals trennen, weil ihr die Tischlerei gehört. Ich sehe absolut keine Lösung.“

Da zog die Mutter ihre Tochter an sich. „Mein armes kleines Mädchen“, sagte sie, „Ich glaube nicht, dass du mit Eduard Puttfarken glücklich wirst. Er gilt in Neuengamme als Betthüpfer, und ich bin sicher, dass du nicht seine einzige Liebschaft neben seiner Frau bist. Jannik ist ein braver Kerl, den nur seine Arbeit völlig verdorben hat. Ein so guter Liebhaber wie Eduard ist er wohl nicht, aber das ist dein Vater auch nicht und trotzdem bleibe ich bei ihm.“ „Kannst du mir vielleicht einen klitzekleinen Rat geben?“, fragte die junge Frau unter Tränen. „Ich glaube, das kann ich“, antwortete Herta nachdenklich. „Folge deinem Herzen, aber stelle deinen Verstand dabei nicht ab. Und schau nicht nur auf dein Glück, sondern auch auf das deiner Tochter.“ Sonja richtete sich auf und küsste die Mutter. „Danke, Mutti“, sagte sie bewegt, „ich glaube, du hast mir geholfen.“

Am Nachmittag war Jannik schon auf den Beinen, als Sonja mit Melanie zu ihm kam. „Du hast eine tolle Geburtstagsfeier für unsere Tochter organisiert“, lobte er sie und sie freute sich, dass er „unsere Tochter“ sagte. „Deine Mutter hatte doch auch großen Anteil daran“, wiegelte sie das Lob ab, „aber sag‘, was machen wir mit deiner Kur?“ „Nun, ich hatte gestern, als Melanie uns vor der versammelten Gesellschaft bat, gemeinsam zu fahren, den Eindruck, du wärst unschlüssig, ob du mitkommen würdest“, meinte Jannik mit leisem Zweifel in der Stimme. „Dein Eindruck war schon richtig, ich weiß wirklich nicht, ob es gut ist, gemeinsam zu fahren. Aber vielleicht sollten wir dem Mädchen einfach ohne irgendwelche Verpflichtung den Wunsch erfüllen.“ „Dann buch‘ doch bitte in Kühlungsborn ein Apartment mit drei Zimmern nahe am Wasser“, bat Jannik.

Als Eduard Puttfarken am Dienstag zu Sonja kam, fragte sie ihn gleich nach der Begrüßung: „Sag‘ mal, beglückst du außer mir noch andere Frauen, neben deiner Frau natürlich?“ Ärgerlich fragte der Mann: „Wer hat dir denn das erzählt?“ „Der Neuengammer Dorfklatsch, und ich habe dich auf dem Lidl-Parkplatz eine Kassiererin küssen gesehen“, antwortete sie ärgerlich. „Aber die sind doch alle nichts gegen dich, nur mit dir bin ich grenzenlos glücklich“, versuchte er, sie zu beschwichtigen. „Ach so, es sind sogar mehrere. Und wieso schläfst du mit ihnen, wenn sie dir nichts bedeuten? Oder erzählst du ihnen auch, dass sie die einzigen sind, mit denen du grenzenlos glücklich bist?“ Als der Mann noch Einwände machen wollte, öffnete sie wortlos die Tür, bis er ging, dann fiel sie schwer atmend auf die Couch.

„Scheißmänner“, dachte sie verzweifelt, „ich kann ihn doch nicht mehr lieben, ich würde mich ja vor seinem Ding ekeln, das er vor kurzem noch in eine andere Frau gesteckt hat. Jannik hat mich nicht betrogen und mir einen so lieben Brief geschrieben. Was mache ich jetzt bloß?“ Hemmungslos weinend brach sie zusammen, bis Melanie aus der Schule kam. „Mama, was ist denn, bist du krank?“, fragte die Tochter besorgt, „soll ich dich ins Bett bringen?“ Langsam kam Sonja wieder zu sich. „Nein, ich hatte eben nur ... eine furchtbare Enttäuschung ... mit Eduard Puttfarken“, stotterte sie.

Beim Essen druckste Melanie eine Weile, bis sie sich zu einer Frage überwand: „Wenn Onkel Eduard dich so enttäuscht hat, können wir dann wieder mit Papa zusammen leben?“ „Ich weiß es noch nicht, ich muss erst wieder zur Besinnung kommen. Aber es ist durchaus möglich.“ „Bitte, bitte, tu es!“, rief das Mädchen. „Sie hat ja Recht“, kam es Sonja langsam in den Sinn, „nur diese Lösung ist wohl möglich, aber wird er lernen, dass ich im Bett mehr brauche, als er mir bisher gegeben hat?“ Als sie sah, dass ihre Tochter sie immer noch hoffnungsvoll anschaute, kam sie zu dem Entschluss, es um ihretwillen zu versuchen. „Ja, ich denke, wir sollten es tun.“ Mit dem Ausruf: „Juhu, Mami, du bist lieb!“, umarmte das Mädchen die Mutter.

Mitten in der Nacht wachte sie von einem Traum auf. Sie sah deutlich, wie Eduard von einem fallenden Balken erschlagen wurde und gleich danach nahm sie an seiner Beisetzung teil, was sie seltsam unbeteiligt ließ. Der Traum ließ ihr keine Ruhe. Was fühlte sie bei diesem Vergleich, wenn sie daran dachte, wie tief Janniks Unfall sie getroffen hatte und wie wenig sie jetzt dieser Traum berührte? Was war Eduard ihr als Mensch denn noch wert, nachdem sie erfahren hatte, wie wenig sie ihm bedeutete? Ihre Mutter hatte gesagt: „Folge deinem Herzen!“, und mit einem Mal wusste sie, was ihr Herz ihr sagte: „Du liebst Jannik immer noch sehr!“ Doch ihr war klar, dass damit eine gewaltige Aufgabe auf sie zukam.

Aus Kapitel 6 „Umzug“  

Freitag fand Sonja einen Brief von Eduard Puttfarken, er fordere von ihr seit ihrem Einzug in die Wohnung eine monatliche Miete von 1.250 €, dazu eine Kaution des zweifachen Mietbetrages. „Aha“, dachte sie, „die Rache des kleinen Mannes. Wie gut, dass ich den Kerl zum Teufel geschickt habe“, und fuhr zu ihrer Mutter. Als sie fragte, wie es denn zu diesem Sinneswandel käme, erzählte Sonja wie sie ihn rausgeschmissen habe. „Er ist doch ein fieses Schwein“, schimpfte die Mutter, „aber ich freue mich, dass du das auch erkannt hast.“ „Na ja“, antwortete Sonja, „so richtig gezeigt hast du mir das erst letzten Sonntag nach der Geburtstagsfeier. Und jetzt müssen wir so schnell wie möglich die Wohnung in Altengamme räumen.“

„Morgen um 8 Uhr steht der Umzugswagen vor deiner Tür, vielleicht willst du in eurer Wohnung vorher noch ein bisschen sauber machen“, sagte ihr Vater. „Danke, Vati“, antwortete Sonja und küsste den alten Herrn auf die Wange. „Und noch etwas“, fuhr der fort, „ich werde dem Puttfarken eine geharnischte Antwort schreiben, dass er überhaupt kein Recht hat, Forderungen zu stellen, denn ich kann bezeugen, dass er dich eingeladen hat, bei ihm zu wohnen.“ „Wenn du jetzt gleich nach Neu-Allermöhe fahren willst, komme ich mit und helfe dir, ich denke, die Bude wird nach sieben Wochen ziemlich verdreckt sein“, schaltete sich die Mutter ein, „und morgen komme ich auch mit und helfe dir beim Einräumen.“ „Mir wäre es auch lieb, wenn du mir danach in Altengamme beim Einpacken helfen könntest“, bat Sonja. „Ja, natürlich, daran habe ich ja gar nicht gedacht“, rief die Mutter.

In Neu-Allermöhe hatten die beiden Frauen gut zu tun, um den Staub von sieben Wochen zu beseitigen und die Wohnung auf den Einzug der Möbel vorzubereiten. Dann fuhren sie in die Altengammer Wohnung. „Stimmt es, dass wir wieder nach Neu-Allermöhe ziehen?“, fragte Melanie, „dann kann ich ja dort aufs Gymnasium gehen. Und kommt Papa dann auch dorthin?“ Sonja nahm ihre Tochter in den Arm. „Ja, meine Kleine“, sagte sie mit weicher Stimme. „Morgen früh kommt der Möbelwagen und bringt alles wieder in die alte Wohnung. Gleich Montag melde ich dich dort beim Gymnasium an. Und ja, Papa wird wieder mit uns zusammen wohnen, wenn wir aus dem Urlaub zurück sind.“ „Du hast ein wundervolles Kind“, sagte Herta leise und strich ihrer Tochter über die Haare. „Ich freue mich, dass du meine Mahnung wahr machst, auch an ihr Glück zu denken.“

„Erzähl mir doch mal die Hintergründe für den Umzug.“ meinte Jannik in der Klinik, nachdem er wieder Sonjas Hände geküsst hatte. Beschämt berichtete Sonja, dass ihre Mutter herausgefunden hatte, was für ein Womanizer Eduard sei, und sie ihn rausgeworfen habe. Am nächsten Tag habe er ihr eine Mietrechnung geschickt, und da hätten ihre Eltern ihr geraten, sofort wieder in die alte Wohnung zu ziehen. „Wir meinen, dass du und ich in einer Wohnung wieder friedlich zusammen leben können und sind heute Vormittag umgezogen.“ Gerührt nahm Jannik Sonja in die Arme und sagte leise: „Was ich dafür tun kann, will ich tun. Ich werde übrigens am Mittwoch, dem 19. entlassen, dann können wir am 20. nach Kühlungsborn fahren.“ Beim Abschied umarmte Sonja ihn und drückte ihre Wange leicht an seine. „Sonja ist doch eine richtige Frau“, dachte Jannik belustigt. „Der Mann kann noch so gut im Bett sein, aber wenn sie herausfindet, dass sie nicht die Einzige ist, ist er für sie gestorben.“

Bei einem Glas Wein saß Sonja abends auf der Couch und dachte über die letzte Zeit nach, die ihr wie eine Achterbahnfahrt erschien. Und als sie später im Bett lag, stieg unvermittelt der Gedanke in ihr auf, dass Jannik bald wieder neben ihr liegen und sie seinen Atem hören würde. Weiter zu denken, verbot sie sich einstweilen. Auch Jannik konnte noch lange nicht einschlafen. In den letzten Wochen war ihm brennend klar geworden, wie sehr er Sonja über alles liebte. Die Aussicht, bald wieder mit dieser Frau und der Tochter zusammen zu leben, erfüllte ihn mit unwahrscheinlicher Freude. „Gott, gib doch, dass wir wieder zusammen finden“, war sein Gebet, und dabei dachte er überhaupt nicht an ihren Körper.

Sonntag rief Sonjas Mutter sie an: „Was hältst du davon, wenn wir am Nachmittag eine kleine Einweihungsfeier für die Wohnung veranstalten?“ „Da müsste Jannik aber dabei sein“, warf Sonja ein. „Natürlich“, fuhr die Mutter fort, „sprich doch mal mit dem Krankenhaus, ob sie ihn für zwei Stunden freigeben.“ „Da frage ich am besten seine Mutter, die sollten wir auf jeden Fall mit einladen. Und da ist noch die Sache mit ihrem Freund“, fuhr Sonja fort, „die beiden wollen bald heiraten und er hat sich in den letzten Wochen sehr um Jannik verdient gemacht.“ „Ich habe nichts dagegen“, stimmte die Mutter zu. Maria war begeistert und meinte, Jannik könne sicherlich für zwei Stunden Urlaub bekommen, sie wolle sich gleich drum kümmern. Besonders dankte sie Sonja, dass die Einladung auch für Hermann galt.

„Ich glaub‘, ich träume“, rief Jannik, als seine Mutter ihn nachmittags in die Wohnung führte und er alle Räume anschaute. „Oder habe ich vor fünf Wochen geträumt, als ich die Wohnung vollkommen leer vorfand?“ „Nein, du träumst nicht“, sagte Sonja gerührt und küsste ihn auf die Stirn. „Das muss begossen werden“, meinte Wilhelm Voss, „Sonja, hast du etwas trinkbares?“ „Habe ich“, rief Sonja und holte eine Flasche Sekt.

Als die Gläser ausgetrunken waren, schlug Jannik mit dem Löffel an sein Glas und alle blickten ihn erwartungsvoll an. „Natürlich weiß ich, dass ich weder vor fünf Wochen noch vorhin geträumt habe. Was ihr getan habt, war ein notwendiger Schock für mich, damit ich mein Leben wieder auf die Reihe kriege. Und der Unfall hat den Rest dazu gegeben.“ Dann schaute er seine Frau bittend an. „Sonja, meine liebe Frau, ich habe dir ja schon vor drei Wochen geschrieben, dass ich dich schwer verletzt habe und ich bitte dich hier noch einmal vor allen Anwesenden um Verzeihung. Ich freue mich sehr, bald vier Wochen mit dir und unserer Tochter zusammen leben zu dürfen und es liegt allein in deiner Hand, was für uns daraus wird. Ich will alles dafür tun, dass diese Tage schön und harmonisch für uns werden. Wenn du trotzdem nichts mehr von mir wissen willst, muss ich dafür Verständnis haben und kann dir keine Vorwürfe machen, denn ich habe unsere Gemeinschaft aufs Spiel gesetzt.“

Die anderen hielten den Atem an, als Sonja zu sprechen begann: „Du hast Recht, dass du mich schwer verletzt und unsere Ehe aufs Spiel gesetzt hast, aber von ‚nichts mehr wissen wollen‘ kann keine Rede sein. Schon um unserer Tochter willen kann ich mich der Fortsetzung unserer Gemeinschaft nicht verschließen. Und ich denke, es liegt an uns beiden, was wir daraus machen. Ich habe dir schon neulich erzählt, wie deine Mutter und ihr Freund mir sehr liebevoll klar gemacht haben, dass ich auch eine Menge Fehler gemacht habe. Ich freue mich über dein Einsehen und meine, wir sollten in Kühlungsborn ehrlich prüfen, ob noch ein bisschen Liebe zwischen uns übrig geblieben ist.“

Montag ging Sonja zum Gymnasium Allermöhe, um Melanie für das nächste Schuljahr anzumelden. Doch der Direktor sagte, wenn sie schon beim Luisengymnasium angemeldet sei, müsse sie dort auch zur Schule gehen. Da kam sie auf die Idee, den Senator direkt anzusprechen, der vor seiner Ernennung Gymnasiallehrer in Bergedorf gewesen war. „Das ist doch nicht möglich“, rief der Politiker, „natürlich kann Ihre Tochter dort das Gymnasium besuchen, wo sie nur über die Straße gehen muss. Gehen Sie gleich wieder zum Direktor, ich kümmere mich drum.“

                            Aus Kapitel 7 „Ferien“               Seitenanfang              Literaturverzeichnis               

Jannik hatte Sonja gebeten zu fahren, weil er seinen Kräften noch nicht traute. Am Kreuz Wismar bog sie auf die A 14 ab, als Jannik plötzlich ein Tier auf die Straße laufen sah. Sonja stieg auf die Bremse, doch es war zu spät. Sie spürten einen Schlag auf den Wagen und etwas flog in hohem Bogen zur Seite. Zitternd brachte Sonja den Wagen auf dem Standstreifen zum Stehen. 50 Meter dahinter lag ein totes Rehkitz. Jannik wählte die 110 auf dem Handy und gab den Unfall und den Autobahnkilometer durch. Als er wieder einsteigen wollte, legte Sonja ihm die Hände auf die Schultern und sah ihn bittend an. „Ich bin noch fürchterlich aufgeregt, ich glaube nicht, dass ich jetzt sicher fahren kann. Meinst du, du kannst mich ablösen?“ „Ich werde es versuchen“, sagte er und staunte hinter dem Lenkrad, wie sicher er den BMW beherrschte.

Erfreut sah sich die Familie in dem komfortablen Apartment in Kühlungsborn um, das nur 50 Meter vom Strand entfernt war. „Das hast du toll ausgesucht“, lobte Jannik, „hier können wir uns gut erholen. Was kostet denn die Bude?“ „Pro Woche 1.300, aber mit Langzeitrabatt 5.000 insgesamt“, antwortete Sonja mit leisem Zweifel in der Stimme, ob das vielleicht zu teuer wäre. Doch Jannik lachte nur: „Das sind ja nur knapp 180 pro Tag, das können wir gut ausgeben.“

Abends umarmte Sonja ihren Mann und küsste ihn auf die Stirn. „Danke, dass du vorhin gefahren bist“, sagte sie mit weicher Stimme, „ich wäre kaum dazu in der Lage gewesen. Und nun schlaf‘ bitte wieder neben mir.“ Mit den Worten: „Das ist lieb von dir, ich habe mich selbst gewundert, wie sicher ich mich beim Fahren fühlte“, gab Jannik seiner Frau den Kuss auf die Stirn zurück und ging ins Schlafzimmer. Als Sonja ihm nach etwas aufräumen folgte, schlief er schon fest.

Am Morgen war Jannik als erster wach, sein Blick fiel auf die schlafende Sonja neben ihm. Ihre Pyjamabluse stand offen, so dass eine Brust heraus schaute. Dunkel erinnerte er sich, dass er ihre Brustspitzen geküsst hatte, aber das war schon lange her. Viel mehr faszinierte ihn ihr Gesicht, das mit den geschlossenen Augen bezaubernd verletzlich aussah. Ihre Nasenflügel bebten sachte, wenn sie atmete, und eine natürliche Röte zierte ihre Wangen. „Was war ich doch für ein Idiot, diese wunderbare Frau zu vernachlässigen, die sich gestern so verletzlich gezeigt hat. Gott, hilf mir, dass ich sie wieder gewinne“, dachte er bedrückt.

Nach dem Frühstück ging Jannik zum Arzt. Der sah sich die Unterlagen aus Geesthacht an, dann zog er das Pflaster ab. „Das sieht gut aus“, meinte er zufrieden, „ich klebe Ihnen nur noch ein kleines Pflaster drauf, mit dem sie ins Wasser gehen können, Sie dürfen aber die nächsten zwei Wochen keinerlei körperliche Anstrengungen haben.“ Auf dem Rückweg sah Jannik ein Plakat, das für Samstag Abend eine Aufführung der Operette „Die lustige Witwe“ ankündigte. „Sollten wir da zusammen hingehen?“ fragte er sich und wollte zuerst ablehnen, doch dann erinnerte er sich an die Mahnung seiner Mutter, er dürfe Sonjas kulturelle Bedürfnisse nicht vernachlässigen. So kaufte er gleich Karten.

Nach dem Mittagsschlaf ging Jannik an den Strand und sah erfreut die schlanken Körper seiner beiden Frauen das Wasser durchpflügen. Er hatte gar nicht gewusst, dass Melanie solch gute Schwimmerin war. „Ja“, rief sie begeistert, „schwimmen macht mir super Spaß und ich habe gelesen, dass ich hier bei der DLRG den Fahrtenschwimmer machen kann. Erlaubt ihr, dass ich mich anmelde?“ „Na, dann lasst uns gleich hingehen“, meinte Jannik und innerhalb von fünf Minuten war die Sache erledigt. Melanie sollte sich an den nächsten drei Tagen um 9 Uhr dort melden. Sie müsse noch einiges lernen und am Montag werde die Prüfung abgenommen.

„Jetzt würde ich gerne ein Schlückchen Wein mit dir trinken“, sagte Jannik abends und Sonja ging Flasche und Gläser holen. „Im Grunde bist du doch ein lieber Kerl. Vor acht Wochen hätte ich nicht geglaubt, dass ich noch einmal mit dir Wein trinken würde. Aber lass mir bitte Zeit, es liegt noch viel zwischen uns und ich bin nicht sicher, ob wir das alles ausräumen können.“ Sie küsste ihn leicht auf den Mund, zog sich aber schnell wieder zurück und sagte verlegen: „Entschuldige bitte.“ Jannik hatte atemlos zugehört. „Ich fand es schön und du musst dich nicht entschuldigen, wenn du ein bisschen lieb zu mir bist“, erwiderte er glücklich und küsste ihre Hand. Mit den Worten: „Ich glaube, es ist Zeit, schlafen zu gehen“, brachte Sonja sie wieder in die Gegenwart zurück. „Warum habe ich ihn geküsst?“ fragte sie sich, „liebe ich ihn denn immer noch oder schon wieder?“

Die Vorstellung war recht ordentlich und Melanie lachte immer wieder lauthals. „Das war ja richtig toll“, staunte Jannik auf dem Heimweg. „Ich habe so etwas immer für Unsinn gehalten, den man nicht ernst nehmen kann, aber es hat mir wirklich gut gefallen. Das sollten wir öfter machen.“ Sonja schmunzelte nur, als Jannik fortfuhr: „Ich glaube, ich kann noch nicht gleich schlafen. Das ist einfach eine neue Erfahrung für mich.“ „Dann lass uns noch wieder ein Glas Wein trinken“, schlug Sonja vor. „Ich kann nicht verstehen, dass ich nicht schon früher dazu gekommen bin und mich dir gegenüber so dagegen gewehrt habe“, sinnierte Jannik. „Jedenfalls möchte ich das bald wieder machen.“ Dann nahm er sich ein Herz und drückte seine Lippen auf Sonjas Mund. Es war eine große Freude, dass sie sich nicht sofort zurückzog. „Komm, lass uns schlafen gehen“, sagte sie mit weicher Stimme.

„Ich habe im Kurs ein Mädchen aus Rostock kennen gelernt, sie heißt Mila und ist einen Monat jünger als ich“, erklärte Melanie beim Mittag den Eltern. „Sie hat keinen Vater und die Mutter muss arbeiten. Darf ich sie mal zu uns einladen?“ „Ja, natürlich, wir freuen uns, wenn du eine nette Freundin gefunden hast“, antwortete Sonja. „Lade sie doch heute Nachmittag ein, damit wir sie kennen lernen.“ Als Jannik nach dem Schlafen ins Zimmer kam, sagte das Mädchen höflich: „Ich heiße Mila Zimmermann.“ „Melanie hat erzählt, dass ihr in Rostock wohnt und deine Mutter dort arbeitet. Was macht sie denn?“ fragte Jannik. „ „Meine Mutter ist Frisörin und ich lebe alleine mit ihr. Meinen Vater habe ich nicht kennen gelernt, er hat uns vor meiner Geburt verlassen.“ „Weißt du denn, wo er ist?“ fragte Jannik. „Ja, in Vietnam, wo er hergekommen ist“, antwortete das Mädchen.

Die Tür der Station öffnete sich und die Kinder strömten heraus. „Ich hab‘ mit Glanz bestanden!“ rief Melanie und lief auf Jannik zu, ihr Zeugnis schwenkend, „wo ist Mama?“ Als Jannik auf die offene See zeigte, gab sie ihm das Zeugnis in die Hand, warf sich ins Wasser und crawlte auf die Mutter zu, um ihr ihren Erfolg zu berichten. Als beide zum Ufer zurückkamen, schlug Jannik vor: „Zur Belohnung könnten wir deinen Erfolg im Neptunhotel feiern“,. „Können wir nicht Mila mitnehmen, sie hat doch auch die Prüfung bestanden?“, fragte Melanie. Jannik stimmte zu: „Dann sag‘ ihr mal schnell Bescheid, wir gehen schon hin:“

„Weißt du, wie ich diese Abende beim Wein mit dir genieße“, meinte Jannik am Abend versonnen. „Ich wusste ja gar nicht, was ich entbehrt habe, als ich nur noch meine beruflichen Erfolge sah, aber bitte glaube mir, ich habe meine Lektion gelernt. Wenn ich dich im Wasser schwimmen sehe oder jetzt neben dir sitze, weiß ich tief im Innersten, dass ich dich über alles liebe und wieder ganz mit dir zusammen leben möchte.“ „Du bist ein feiner Kerl“, antwortete Sonja leise und drückte ihre Lippen auf seine. Als er sie öffnete, erkundete ihre Zunge seinen Mund und er antwortete gerne. „Wie konnte ich diesen Mann nur so innig küssen, wo er mir so viel Kummer bereitet hat?“, fragte sich Sonja im Bett, „na ja, ich habe es ja auch genossen. Aber weiter darf ich auf keinen Fall gehen, sonst fängt die ganze Misere wieder von vorne an.“

 Aus Kapitel 8 „Wahrheiten“                  

Als Jannik aufwachte, kam Sonja gerade aus dem Bad und er schaute verliebt ihren schönen Körper an. „Weißt du, dass du eine wunderschöne Frau bist?“, sagte er bewundernd. „Wenn ich dich nicht schon lieben würde, hätte ich mich eben Hals über Kopf in dich verliebt.“ „Danke für die Blumen“, antwortete Sonja lachend, „das hört eine Frau immer gerne, aber ich weiß auch selbst, dass ich mich noch sehen lassen kann.“

Abends fanden sich die Eltern wieder mit einem Glas Wein auf der Couch. Schließlich überwand Sonja sich: „Ich muss dir etwas sagen, was dich vielleicht verletzen wird, aber um der Ehrlichkeit willen musst du es wissen. Ich weiß nicht, wie weit du dich an unsere recht seltenen körperlichen Vereinigungen erinnerst. Du weißt ja, dass ich vor dir noch unberührt war und keinerlei Erfahrung hatte. Deshalb glaubte ich, es müsse so sein, wie du mit mir umgingst. Du kamst immer sehr schnell zum Ziel und ich hatte niemals einen Orgasmus. Deshalb habe ich auch nichts vermisst, als du dich nach unserem ständigen Streit ganz von mir abwandtest, ich sah diesen Akt, den die Romane ja als die wundervollste Begegnung zwischen zwei Menschen schildern, als langweilige und eigentlich überflüssige Betätigung an, sobald man ein Kind in die Welt gesetzt hat.

Diese Einstellung änderte sich radikal, als Eduard Puttfarken vor acht Monaten um mich warb und ich mich ihm schließlich hingab. Erst durch ihn habe ich gemerkt, wie schön die Erotik für eine Frau sein kann, er hat alle wundervollen Gefühle in mir geweckt und ich war ihm vollständig verfallen. Ich fühlte mich begehrt, merkte, dass ich ihm als Frau außerordentlich wichtig war, dass er meine Gefühle an die erste Stelle stellte und mir immer einen Orgasmus verschaffte. Wir blieben danach zärtlich beieinander und ich glaubte, nie von ihm lassen zu können. Erst die Erkenntnis, dass ich bei weitem nicht die Einzige bin, die er auf diese Weise beglückt, verschaffte mir die nötige Distanz zu ihm. Ich muss dir ehrlich sagen, dass ich seine Zärtlichkeit vermisse. Ich helfe mir doch schon wieder selbst, was ich die ganze Zeit nicht nötig hatte.“

Jannik sagte lange kein Wort. Sonja hatte ihm unter die Nase gerieben, was er seit Wochen ahnte „Was meinst du denn, wie es jetzt mit uns weitergehen kann?“, fragte er schließlich besorgt. „Das eine muss ich dir klar sagen“, antwortete Sonja, nachdem sie eine Weile nachgedacht hatte: „Zu dieser Art Sex, wie wir sie bisher gepflegt haben, bin ich nicht mehr bereit, ich habe sehr viel Schöneres kennen gelernt. Wir können gerne wieder zusammen leben, schon um Melanies willen sollten wir das tun, aber wenn wir jemals im Bett wieder zusammen finden sollen, muss das ganz anders laufen als früher.“

Jannik konnte lange nicht einschlafen. Sonja hatte ihm offen und ehrlich gesagt, dass er schon seit ihrer ersten intimen Begegnung vor mehr als sechzehn Jahren ein erotischer Versager gewesen war, sie hatte es vor Eduard Puttfarken nur nicht gewusst. Könnte er dies Problem offen mit ihr besprechen und würde sie ihm helfen? In dieser Frage lag der Schlüssel zu einem erfüllten gemeinsamen Leben mit ihr. Am Morgen beugte Sonja sich über ihn und küsste ihn mit einem innigen Zungenkuss. „Ich bin gestern Abend sehr hart mit dir ins Gericht gegangen, aber es musste um der Ehrlichkeit zwischen uns sein. Trotzdem will ich dir zeigen, dass du mir nicht gleichgültig bist, ich glaube sogar, ich liebe dich wieder ein bisschen.“ „Ich hoffe sehr, dass wir weiter zueinander finden, denn mir geht es schon lange ebenso“, antwortete Jannik.

Am nächsten Abend stellte Jannik eine Flasche Wein und Gläser bereit. „Du hast mir unverblümt klar gemacht, dass ich im Bett ein Versager bin, und ich weiß, dass du Recht hast“, sagte er, als Sonja neben ihm saß. „Mein Ziel ist eindeutig, mit dir in jeder Beziehung glücklich zusammen zu leben zu unserer beidseitigen vollkommenen Erfüllung.“ „Wenn ich dir zu diesem Ziel helfen kann, will ich es gerne tun, letztlich ist es ja auch mein Ziel“, antwortete Sonja nachdenklich.“

„Du bist ein Schatz“, fuhr Jannik fort und küsste Sonja, dann fuhr er fort: „Einen entscheidenden Grund für meine miserable Sexualität habe ich dir bisher verschwiegen, weil ich mich schämte, davon zu berichten: Ich war 20 und noch völlig unbedarft, als mich während meiner Zivizeit im Krankenhaus eine Schwesternschülerin verführte. Ich war so erregt, dass es mir sofort kam. ‚Das war wohl dein erstes Mal?’ maulte sie und meinte, ich solle mir eine andere Lehrmeisterin suchen.

Ich war wie vor den Kopf geschlagen und dachte: ‚Wenn das die wundervolle Sexualität ist, die die Romane beschreiben, wird sie mir nie viel geben‘. Bis wir uns kennen lernten, hatte ich keinen weiblichen Kontakt.“ Sonja sagte erschüttert: „Das ist ja eine schlimme Geschichte, da wird mir schon einiges klar. Aber erzähl‘ weiter.“

„Du wirst dich erinnern, dass ich dich nie zur Intimität gedrängt habe. Als du Silvester bei mir übernachtetest, wollte ich auf der Couch schlafen, doch du riefst mich zu dir und ich kam mit bangem Herzen, ein neues Desaster fürchtend. Leider hatte ich nicht die geringste Ahnung, wie man liebevoll mit einer Frau umgeht, ich wusste ja bis vor kurzem nicht einmal, dass ihr auch einen Orgasmus habt. Und so bitte ich dich jetzt: Wenn du irgendeine Möglichkeit siehst, mach‘ aus mir einen brauchbaren Liebhaber.“

Schließlich raffte Sonja sich zu einer Antwort auf: „Ich danke dir für deine Offenheit, die mir vieles klar macht. Und ich danke dir auch für dein Vertrauen zu mir, dass ich dir, nein uns beiden helfen kann, ich muss darüber nachdenken. Auf jeden Fall fand ich unser Gespräch so wertvoll wie schon lange keins. Doch es ist spät geworden, lass uns schlafen gehen.“ Jannik stimmte zu und im Bett küsste er seine Frau innig, bevor er einschlief. Sonja überlegte, wie sie ihm helfen könne und beschloss, nach einem Buch zu suchen, das sie bei ihren Bemühungen unterstützen konnte.

Samstag fand sie in Rostock eine kleine Buchhandlung und sprach die betagte Inhaberin auf ihr Problem an. „Ich weiß, wovon sie sprechen und habe kürzlich etwas Antiquarisches bekommen“, lächelte sie, „was das Problem ziemlich genau beschreibt.“ Aus einem verborgenen Fach holte sie das Buch „Macht eure Männer zärtlicher“ von den O‘Connors und schlug eine Seite auf. Überrascht las Sonja die angestrichenen Abschnitte. „Genau das ist das Problem bei meinem Mann“; sagte sie, „jetzt muss ich nur noch wissen, wie ich ihn ändern kann.“ „Na, zunächst lesen Sie das Buch, da stehen recht brauchbare Tipps drin“, erwiderte diese.

„Darüber hinaus kann ich Ihnen nur eine Möglichkeit nennen: Zeigen Sie ihm Körperlichkeit. Viele Männer wissen gar nicht, wie wunderbar sich ein Frauenkörper anfühlt, den man zärtlich berührt, und bei sich selbst kennen sie dies Gefühl erst recht nicht. Ich habe hier ein neu erschienenes Buch ‚Partnermassage‘ von Christine Unseld-Baumanns. Da steht alles drin, was Liebende außer und vor der intimen Begegnung miteinander tun können. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass es Ihnen nutzen wird, aber es ist den Versuch wert.“ Dankbar kaufte Sonja die beiden Bücher und fuhr nach Kühlungsborn zurück.

Jannik sah plötzlich das Rettungsboot der DLRG mit zwei Männern und Mila ablegen und weit draußen seine Tochter, die eine andere Person über die Wellen hielt und zu küssen schien. Bald hatte das Boot die beiden erreicht, die Männer holten sie an Bord und waren nach drei Minuten bei der Station. Melanie sprang heraus und warf sich erschöpft in Janniks Arme, Mila folgte ihr. Zwei Männer hoben einen bewusstlosen Jungen aus dem Boot und legten ihn in den gerade eingetroffenen Rettungswagen, der sofort losfuhr. Der Leiter der Station sagte bewundernd zu Melanie. „Ich glaube, du hast dem Jungen das Leben gerettet“ „Ich sah den Jungen wild strampeln und schwamm zu ihm, da ging er plötzlich unter und ich tauchte nach ihm. Als ich ihn oben hatte, saugte ich das Wasser aus seinem Mund und beatmete ihn. Zwischendurch winkte ich das Notsignal.“ „Ich habe sie gesehen und die Wache alarmiert“, fiel Mila bescheiden ein.

Am Nachmittag besuchte sie ein älteres Paar, das sich mit dem Namen Kessler als die Eltern des Jungen vorstellte und Melanie mit Dank überhäufte. „Wie geht es Ihrem Sohn denn“, fragte Sonja. „Kevin liegt im Klinikum Südstadt in Rostock und ist bei Bewusstsein, wir kommen gerade von ihm“, sagte die Mutter, „wie können wir denn Ihrer Tochter danken?“ „Das müssen Sie mit ihr selber ausmachen, sie hat ja nur ihr neues Wissen richtig angewendet“, antwortete Sonja. „Gut“, meinte der Vater, „dann möchten wir Sie und Ihre Tochter morgen zu einem guten Mittagessen einladen.“ Ehe Sonja antworten konnte, rief Melanie: „Da müssen Sie auch Mila einladen, die das Rettungsboot alarmiert hat, sie war ebenso wichtig wie ich.“

„Heute Abend würde ich gerne mit dir tanzen gehen“, schlug Sonja vor. „Das kann ich doch gar nicht mehr“, stotterte Jannik, aber Sonja meinte, sie würde ihn schon führen. In der Bar fanden sie Platz an einem Tisch mit einem jüngeren Paar. Schließlich flüsterte Sonja ihrem Mann ins Ohr, er sei jetzt dran. Stark an seinen Fähigkeiten zweifelnd forderte er sie auf, doch seine Zweifel waren unbegründet, sie führte ihn gut und er fand überraschend schnell den Rhythmus. „Na siehst du, es geht doch prima“, sagte Sonja, „aber Gesellschaftstänze werden eng getanzt“, und zog ihn an sich heran. Jannik wurde es ganz komisch, als er ihren Körper und vor allem ihre weiche Brust spürte. Beim nächsten Tanz küsste er Sonja auf die Stirn. Da schaute sie ihm auf den Mund und nun küsste er sie richtig, was sie lächelnd erwiderte.

Sonntag Abend stellte Sonja Wein und Gläser auf den Couchtisch. „Vorgestern habe ich dir versprochen, dir bei deinem Problem zu helfen“, sagte sie, „ich habe lange überlegt und mir ist klar geworden, dass ich weiß, was für mich schön ist, aber nicht, wie ich es dir erklären kann. Dafür habe ich in Rostock etwas gefunden. Schau, was sagst du zu dieser Männerbeschreibung?“

Die wichtigsten Gründe, warum viele Männer hastige, stümperhafte, mechanische und insensible Sexualpartner sind:

     -       Sex ist nicht „nützlich“, Auf der Flucht vor Gefühlen fordert der typische Mann, dass jeder Energieaufwand einen Nutzen hat. 
-       Sexualkontakte haben kein anderes Ziel als reinen Lustgewinn. 
-       Er neigt nicht dazu, sich um Verfeinerung seiner Liebestechnik zu bemühen. Das wäre ja so anrüchig wie Gedichte schreiben. 
-       Sex ist Zeitverschwendung.  In den Augen manches Mannes dient die Kopulation nur dem Erreichen eines Orgasmus. 
-       Der insensible Mann, ob Sex oder um per Auto an ein bestimmtes Ziel zu gelangen, sucht immer nach dem kürzesten Weg. .
-       Er teilt sein Leben in separate Schubfächer, von denen Arbeit eines der größten und Sexualität eines der kleinsten ist. ...

„Mensch, damit bin ich ja genau beschrieben“, stotterte Jannik. „Erst nach deinen Worten am Mittwoch ist mir klar geworden, dass ich mit dieser Einstellung keine Frau verdient habe. Deshalb habe ich dich ja gebeten, mir zu helfen. Hast du denn außer dieser vernichtenden Männerbeschreibung auch etwas Positives gefunden?“ „Ja, mir ist klar geworden, dass du den Frauenkörper mit seinen vielen Geheimnissen noch nie richtig kennen gelernt hast. Dafür habe ich in Rostock das Buch ‚Partnermassage‘ gekauft, um selbst etwas über die verschiedenen Berührungsmöglichkeiten zu lernen.“

Überrascht sagte Jannik: „So habe ich das noch gar nicht gesehen, aber du könntest recht haben. Ich habe gestern beim Tanz zum ersten Mal gemerkt, wie gut sich Frauenkörper anfühlen.“ „Na ja, du hast zwar meinen Körper ein wenig gefühlt, aber für eine befriedigende Sexualität musst du richtig damit vertraut werden“, sagte Sonja. „Du kennst zwar meinen Mund vom Küssen und dein Penis kennt mein Geschlecht, aber was sonst noch? Hast du jemals meinen Bauch und Rücken zärtlich berührt, meine Hände und Füße, Arme und Beine gestreichelt, meine Haare und mein Gesicht geküsst, ist dir meine Haut vertraut? Heute ist es schon etwas spät, aber wenn es dir Recht ist, können wir morgen behutsam damit anfangen.“ Jannik beugte sich zu ihr und küsste sie innig. Als sie den Kuss erwiderte, nahm er seinen Mut zusammen, streichelte zuerst ihren Hals und fuhr dann mit der Hand tiefer, bis er ihre Brust fühlte und leicht über die Spitze strich. „Das ist schon mal ein schöner Anfang“, freute Sonja sich, als sie sich von seinem Mund gelöst hatte, „und eine von den vielen kleinen Liebkosungen, die gar nichts mit Sex zu tun haben und die eine Frau so gerne hat. Morgen machen wir weiter.

Nach dem Abendbrot konnte Jannik es kaum erwarten, dass Melanie im Bett war, dann fragte er Sonja: „Beginnen wir jetzt den Unterricht?“ „Ja, wir werden uns am ganzen Körper berühren, lassen aber auf jeden Fall die intimen Zonen außen vor. Du wirst merken, dass auch diese Berührungen erregend wirken. Ich beginne bei dir, damit du weißt, worauf es ankommt. Leg‘ dich auf dem Bauch!“. Von den Zehen ging sie aufwärts, bis sie zuletzt die Handflächen mit der Zunge streichelte. „Nun dreh‘ dich bitte um“, sagte sie und sah lächelnd seine Erektion. Über die Füße, Schienbeine und Oberschenkel strich sie aufwärts. „Jetzt bist du dran“, sagte sie, nachdem sie zuletzt seine Augen, Nase und Lippen geküsst hatte.

Sie legte sich auf dem Bauch und Jannik gewann allmählich ein Gefühl für die zarte Haut seiner Frau. „Du machst das wunderschön“, flüsterte Sonja, Als er ihre Ohrläppchen geküsst hatte, drehte sie sich um und sagte: „Nun genauso zärtlich wieder bei den Füßen anfangen.“ Immer mehr genoss Jannik die Berührung ihrer zarten Haut. „Bitte ganz sachte“, bat sie, als er zu den Brüsten kam, und er umfasste die Kugeln nur leicht. Als die Spitzen fest wurden, nahm er sie zwischen die Lippen, wobei sie leise stöhnte. Zuletzt küsste er ihren Mund und die Nasenspitze, und ging über die Arme widmete zu den Handflächen.

„Das war wundervoll, aber es hat nicht nur dich erregt“, sagte Sonja schwer atmend „Mir geht es ähnlich und so können wir nicht schlafen. Deshalb müssen wir dem Buch etwas vorgreifen.“ Sie führte seine Hand in ihre Scham. „Streichle mich dort“, flüsterte sie und küsste ihn. Erstaunt fühlte Jannik eine kleine feste Stelle, und als er sie rieb, bebte Sonja und atmete immer heftiger, bis sie sich schließlich aufseufzend eng an ihn drückte. „Danke“, sagte sie, als sie wieder ruhig atmete, „das war ein wundervoller Orgasmus. Und jetzt bist du dran.“ Sie küsste und streichelte ihn, bis er aufstöhnte, „Jetzt sage ich ‚danke‘“, flüsterte Jannik erschüttert, so schön habe ich das noch nie erlebt.“ „Es war doch bei mir ebenso schön“, meinte Sonja leise, „doch jetzt sollten wir schnellstens schlafen.“ Jannik konnte noch nicht einschlafen. „Wie blöd war ich doch, so etwas Schönes nie erlebt zu haben“, dachte er, „ich hätte nie gedacht, wie erregend es ist, den Körper einer Frau einfach zu streicheln. Und ihren Orgasmus zu erleben, war phänomenal, ebenso wie von ihr gestreichelt zu werden. Wie sehr muss sie mich noch lieben, um so etwas mit mir zu machen. Danke, Gott, für diese Frau!“

Aus Kapitel 9 „Erfüllung“

Mittwoch Abend verschwand Sonja eine Weile im Schlafzimmer, dann rief sie Jannik. Als er die Tür öffnete, glaubte er, seinen Augen nicht zu trauen: 43 Kerzen brannten in kleinen Schälchen auf der Kommode, den Nachttischen und auf dem Boden um das Bett herum; Sonja trug ein leichtes Negligé, das nichts von ihrer Schönheit verhüllte. „Herzlich willkommen in unserer Liebe“, sagte sie leise und begann, Jannik auszuziehen.

„Ich bin platt“, konnte er nur sagen. Behutsam begannen sie, sich im weichen Licht der Kerzen zu lieben, wortlos, liebevoll, mit einem unermesslichen Reservoir an Zärtlichkeit. Jannik streichelte und küsste seine Geliebte, bis sie immer heftiger atmete und ihn schließlich zu sich zog. Er ließ sich Zeit und danach liebkosten sie sich noch lange. Sonja begann zu weinen, konnte aber nicht sagen, warum.

Glücklich lagen sie aneinander geschmiegt, bis es irgendwann Mitternacht schlug und Sonja ihrem Mann herzlich zum Geburtstag gratulierte. „Ich wünsche dir, und natürlich auch mir, noch viele solche schönen Stunden, wie du sie mir geschenkt hast“, sagte sie mit weicher Stimme und Jannik erwiderte: „Du hast mir ein so wundervolles Geburtstagsgeschenk gemacht, wie ich es in meinem ganzen Leben noch nicht bekommen habe. Hab’ Dank, meine liebe, liebe Frau.“ Da küsste sie ihn innig, dann löschte sie die Kerzen.

Jannik konnte noch nicht einschlafen. Sonja hatte ihm wirklich ein wundervolles Geschenk gemacht und er war ihr unendlich dankbar. Als er hörte, dass sie auch noch nicht schlief, hätte er ihr gerne seinen Dank deutlich gezeigt. Lust dazu hatte er nach der herrlichen Begegnung, doch durfte er das? Mit bangem Herzen begann er wieder, sie zärtlich zu streicheln und fühlte glücklich, wie sie ihm liebevoll antwortete. Immer erregter wurden die beiden, bis sie noch einmal in einer wilden Umarmung zueinander fanden. „Danke, dass du mich jetzt verführt hast“, flüsterte Sonja danach. Noch lange liebkosten sie sich, bis sie einschliefen.

Es dämmerte, als Jannik Sonjas zarte Hände auf seinem Körper fühlte, doch er war schnell bereit, die Liebkosungen zu erwidern. Zum dritten Mal in dieser Nacht erlebten sie die innige Vereinigung, in der sie nicht mehr zwei Wesen waren, sondern nur ein einziges. Sie wurden erst wieder wach, als Melanie herein schaute. Als sie die Eltern dicht beieinander liegen sah, jauchzte sie begeistert und rief „Liebt ihr euch jetzt wieder richtig?“ „Ja, ganz richtig“, sagten die beiden wie aus einem Munde und das Mädchen schlüpfte zu ihnen ins Bett. „Ihr habt ja gar nichts an“, stellte es erstaunt fest. „Ja“, lachte Sonja, „richtige Liebe ist am schönsten, wenn man nichts anhat.“ „Das glaube ich auch“, meinte das Mädchen und gratulierte dem Vater herzlich zum Geburtstag.

„Ich möchte dir noch etwas sagen“, sagte Sonja leise. „Eigentlich müsste ich ein schlechtes Gewissen haben, dass ich dich mit Helmut Puttfarken so lange betrogen habe, während du mir nach dem Gesetz treu warst, aber es musste einfach sein, ich war ja zum ersten Mal im Bett glücklich. Vergibst du mir?“ „Da gibt es nichts zu vergeben“, gab Jannik lächelnd zurück, „denn ohne dieses Erleben hättest du doch gar nicht gewusst, was zwischen uns fehlt und mich nicht aus meiner Frigidität befreien können. Da müssen wir ihm direkt dankbar sein, dass er dich verführt hat.“ „Ja“, antwortete Sonja, „es war schön und erregend mit ihm, aber doch sehr einseitig. Ich glaube, ich habe ihn nie richtig geliebt. Erst nach der letzten Nacht mit dir weiß ich, was wirkliche Liebe ist. Nach sechzehn Jahren sind wir endlich in unserer Gemeinschaft angekommen. Hab‘ Dank mein Lieber.“

Jannik überwand sich zu einer Bitte: „Seit meinem Unfall habe ich Gott immer wieder gebeten, uns beide wieder zusammen kommen zu lassen. Und wo uns das jetzt gelungen ist, möchte ich mich bei ihm bedanken. Hast du Lust, Sonntag mit mir in die Kirche zu gehen?“ Überrascht sah Sonja ihn an. „Ich habe mich immer gefragt, ob du mich trotz meiner Trennung noch ein bisschen liebst und war mir überhaupt nicht klar darüber. Jetzt höre ich aus deinen Worten, wie groß deine Liebe schon lange war und ich bin glücklich, dass ich dir entgegen gekommen bin. Auch ich fühlte doch die ganze Zeit etwas für dich, was sicherlich Liebe war, wenn ich es mir auch nicht gestattet habe, es so zu nennen. Gerne will ich morgen mit dir in die Kirche gehen, denn auch ich möchte mich bei Gott bedanken, dass wir wieder zueinander gefunden haben.“

So ging die Familie Sonntag zum Gottesdienst, wo der junge Pastor über den 1 Korintherbrief Kapitel 13 predigte:

„Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf.“

Als die Eltern diesen Text hörten, fassten sie sich über Melanie hinweg an den Händen und schauten sich in die Augen. Begeistert legte das Mädchen ihre Hände dazu. In der Predigt fragte der Pastor, welche Liebe Paulus wohl damit gemeint haben könne.

„Sicherlich hat er vor allem das Gebot Jesu gemeint: ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst‘. Unsere Nächsten sind außer den Gemeindemitgliedern, die Paulus wohl hauptsächlich vor Augen standen, auch die alten und hilflosen Menschen in unserer Umgebung, die Flüchtlinge aus Syrien und viele andere mehr. Auch die Mutterliebe ist etwas Wundervolles, ohne die kein Kind gedeihen kann. Wir wissen aber, dass Paulus von Frauen nicht so viel hielt, sie waren für ihn nur ein notwendiges Mittel, um Kinder zur Welt zu bringen, in der Gemeinde hatten sie keine Geltung.

Nur die Jungfrau Maria durfte die Sehnsucht nach Weiblichkeit erfüllen, war aber als Heilige Mutter Jesu natürlich unantastbar. Fünfzehnhundert Jahre lang hat die Kirche diese naturfeindliche Einstellung zur körperlichen Liebe gepflegt, bis Martin Luther den Frauen durch seine Hochzeit ihre unendliche Bedeutung zurückgegeben hat. Dazu möchte ich eine andere Stimme aus der Bibel zitieren, das Hohelied Salomos 7 und 8, das die Schönheit der Frau und die Liebe zwischen Frau und Mann eindeutig beschreibt:

‚Deine Hüften sind wie Geschmeide, gefertigt von Künstlerhand.
Dein Schoß ist ein rundes Becken, dem kein Würzwein mangelt.
Dein Leib ist ein Weizenhügel, mit Lilien umstellt.
Deine Brüste sind wie zwei Rehkitze, die Zwillinge einer Gazelle.
Dein Hals ist ein Turm aus Elfenbein. 
Deine Augen sind wie die Teiche zu Heschbon.
Deine Nase ist wie der Libanonturm, der gegen Damaskus schaut.
Dein Haupt gleicht oben dem Karmel; wie Purpur sind deine Haare.
Wie schön bist du und wie reizend, du Liebe voller Wonnen!
Denn Liebe ist stark wie der Tod und ihr Eifer fest wie die Hölle. 
Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, 
dass auch viele Wasser sie nicht mögen auslöschen noch die Ströme sie ertränken. 
Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so gölte es alles nichts.‘

Konservative Theologen behaupten, diese Worte seien eine Fälschung. Wir, die wir diese Liebe kennen, wissen, dass es die volle, wunderschöne Wahrheit ist.“ Beim Vaterunser fassten Sonja und Jannik sich wieder an den Händen und nach dem Segen küssten sie sich leicht. „Die Predigt passte doch genau auf uns beide“, sagte Sonja leise, „danke, dass du mich eingeladen hast.“

Die nächsten Tage verliefen ähnlich. Melanie war noch viel mit Mila zusammen. Als die Eltern Samstag wieder tanzen gingen, hatte Jannik sich daran gewöhnt, die Körper von Frauen zu fühlen, doch besonders freute er sich darauf, später Sonjas Körper ohne störende Kleidung dicht an seinem zu spüren. Am Donnerstag der folgenden Woche fuhren die drei zurück nach Hamburg, sie hatten eine wundervolle erfüllte Zeit miteinander gehabt. Diesmal fuhr Jannik den BMW.

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